Volker Kienast

Glasgow hat eine schöne Tradition, hier sind an Sonntagen die meisten Museen zum kostenlosen Eintritt geöffnet. Eines davon allerdings kostet ein bisschen, das ist das U-Bahn-Museum. Na ja, eigentlich ist das die normale Metro der Stadt, aber die ist so alt und putzig, das ich mir dort vorkomme wie in einem Museum.

Das Wort stimmt tatsächlich, denn diese Strecke ist nach London und Budapest die drittälteste Metro der Welt. Von 1896! Das ist so alt, dass die Glasgower am Anfang wahrscheinlich in Frack und Zylinder mit Pferde-Droschken durch den Tunnel gefahren sind, bevor die erste Bahn fuhr.
Ich bin aus den Reisen der vergangenen Jahre die modernsten Metro-Systeme der Welt gewohnt, vor allem in Shanghai und Hongkong, deshalb habe ich schon ein bisschen gegrinst, als ich am Sonntag Nachmittag in den Glasgower Untergrund gegangen bin. Zunächst einmal sind die Züge sehr schmal und niedrig. Aufrecht stehen kann man eigentlich nur in einem etwa 50 Zentimeter breiten Mittelstreifen, dann geht die Decke abgerundet in die Wände über. Die Türen öffnen sich fast halbrund bis zur Hälfte des Waggons, sonst würde man sich beim Einsteigen den Kopf stoßen. Die Sitzreihen sind längs an den Seitenwänden befestigt, so dass sich die Reisenden gegenüber sitzen.

Das ist in diesem Fall nicht innovativ wie in den asiatischen Beispielen, sondern ist schlicht im Platzmangel begründet, denn für Querreihen reicht die Waggonbreite nicht aus. Und diese Sitze haben richtige Polster mit einem Muster wie ein altes Sofa. Außerdem sind die Wände in einem hübschen orangenen Farbton gehalten, der Fußboden besteht aus braunem Linoleum. Das Ganze sieht dermaßen nach englischer Gemütlichkeit aus, dass ich mich gewundert habe, dass nirgendwo eine mit Faltenrock, geblümter Bluse und Dauerwelle gekleidete Dame zu sehen war, die den Reisenden Tee und Zitronengebäck anbietet.

Die Stationen sind passend dazu. Sehr schmal und klein, kaum einhundert Meter lang, die Tunnelöffnungen sind lediglich dreieinhalb Meter im Durchmesser. Mehr war bei der damaligen Tunnelbautechnik nicht möglich. Dazu haben die Fliesen eine Farbe, die meine Schwester wohl als „Beige im Endstadium“ bezeichnen würde. Das gesamte System wurde zu Beginn der 1980er Jahre für einige Monate komplett geschlossen und renoviert, Stationen, Züge, Rolltreppen, Ticketautomaten. Seit dem wurde nichts mehr getan. Ich frage mich, wie die Leute in den 80ern mit ihren breiten Schulterpolstern überhaupt durch die Türen kamen.
Ich wollte rasend gerne ein paar Fotos vom Inneren der Waggons machen, aber ich hätte wohl rumpelnd gerne Fotos gemacht, während der Fahrt hat es dermaßen heftig gewackelt, da war mit der Kamera nix zu wollen. Statt dessen habe ich gebannt auf die nur 30 Zentimeter [mehr oder weniger schell wechselnd] entfernte Tunnelwand gestarrt. Wie gesagt, breitere und höhere Tunnel waren technisch damals nicht möglich.

Aber das System funktioniert, es ist sauber und gepflegt und alles funktioniert. Außerdem kann sich in der Glasgower U-Bahn niemand verfahren: Schließlich besteht sie lediglich aus 15 Stationen auf einer Ringstrecke von 10 Kilometern. Das ist alles, mehr gibt es nicht. Erweiterungen gab es seit der Eröffnung vor annähernd 120 Jahren nicht und es sind auch keine geplant.
Für die Tickets gilt der Einheitspreis von 1,20 Pfund, was zudem relativ preiswert ist. Also eigentlich nix zu meckern…
…oder doch, denn eines passt zu dem Museumscharakter: Die Öffnungszeiten. Als ich am späten Sonntag Nachmittag um sechs Uhr beschloss, vom Botanischen Garten wieder nach Hause zu fahren, stand ich vor einem verrammelten U-Bahn Eingang. Auf einem Schild las ich, dass die Metro um 18:00 Uhr den Betrieb einstellt, bis zum Montag Morgen um halb sieben.

Was ist denn das? Ein ÖPNV-System, das am frühen Abend nicht mehr fährt? Kaum zu glauben. Völlig verdattert fragte ich eine junge Dame, die an der Station vorbei ging. Sie zuckte mit den Schultern, das sei eben so, wohl die Gewerkschaften. Ich hatte aber noch Glück, dass ich nach einem langen Spaziergang zu Fuß nach Hause kam, denn die Bürgersteige werden hier erst um acht hochgeklappt.

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