Vor zwanzig Jahren hieß es häufig, wenn ein Unternehmen es schafft, jedem Chinesen Messer und Gabel zu verkaufen, sei die wirtschaftliche Zukunft gesichert.
Nein, das war nicht der Grund, warum ich Sinologie studiert hab…
Die Chinesen essen weiterhin mit Stäbchen, aber so ähnlich muss sich das auch Kenny G. gedacht haben: „Verkauf jedem Chinesen – na, jedem Hotel und jedem Restaurant – eine Deiner CDs, dann geht’s Dir prächtig“. Und jetzt hat er wahrscheinlich mehr Geld als Locken auf’m Kopf.
Ich sitze wieder einmal in einer Hotellobby rum, um mit einem weiteren Hotel Manager über Konferenzräume und Zimmerpreise zu verhandeln. Und was schwebt da durch den Raum? Federleichte Melodien, auf dem Sopransaxophon gehaucht, getragen auf einem Nichts von ätherischen Harmonien, die der Wind der Klimaanlage durcheinander wirbelnd davon trägt. Ungefähr so muss es im Himmel klingen, wenn die Engel ihre Schalmeien blasen. Die hauchzarte Versuchung für die Ohren.
Diese Melodien sind mittlerweile fest in all meinen Zellen verankert. Ich bin seit etwa 20 Jahren in China unterwegs, und er verfolgt mich, in jeder Hotellobby, in jedem Fahrstuhl, im Frühstücksraum, abends an der Bar, im Swimmingpool über Wasser, im Swimmingpool unter Wasser, in der Sauna wabert er durch den Aufguss-Nebel, in der Minibar, wenn ich den Kühlschrank aufmache, im Supermarkt zwischen Kühlregal und Kasse, im Taxi. Wenn ich komme, ist er schon da, und ich kann nicht fliehen. Unterbrochen wird er nur von den sanften Klimpermelodien des Richard Clayderman, dem zweiten Star des weichgespülten Gedudels. Da klingt selbst James Last wie ein Hardrocker.
Und. Das. Mir! Ich trete selbst in Deutschland als Musiker auf!
Ich will gar nicht mal sagen, dass das alles schlecht klingt. Aber wenn es immer klingt? Und klingt? Und Klingt? Seit 20 Jahren? Dann isses doch irgendwann auch mal gut, wozu ist denn der Plattenwechsler erfunden worden. Na gut, wahrscheinlich nicht von einem Chinesen.
Ich freue mich für Kenny G., dass er mit den Chinesen reich geworden ist, aber die musikalische Vielfalt in China ist arm geworden.
Wobei – der einzige Trost könnte sein, dass in China in den Neunzigern alles kopiert wurde, wahrscheinlich hat der also nur eine einzige CD verkauft, und die ist dann Millionen Mal kopiert und verteilt worden. Geschieht ihm recht.