Jeden Morgen fahren wir von unserer Wohnung zum Depot. Jeden Morgen hören wir Radio, und jeden Morgen hören wir denselben Kram. Seit Wochen!

Lady Gaga möchte uns weiß machen, dass sie so geboren wurde, Rihanna haucht ins Mikrophon, dass ich ihren Namen sagen soll, und Pink singt auch irgendwas, aber dazu reicht mein Englisch nicht aus. Na ja, wahrscheinlich reicht dazu das Englisch von niemandem aus, so wie sie singt. Klar ist nur, dass sie ziemlich leidet. Unter sämtlichen Songs liegt ein Schlagzeug- und Bassteppich, der jegliche rhythmische oder harmonische Fantasie der Zuhörer völlig zurummst. Ich habe aus Shanghai ja über Kenny G. rumgewitzelt und frage mich nun, ob das hier jetzt die Rache auf meine Lästereien über die Samt-und-Seicht-Musik von ihm ist. Irgendwo hinter einer schalldichten Wolke sitzt der Gott der Musik und sagt Ätsch zu mir!

Ich finde aber die Radiomusik an sich gar nicht schlimm, sondern dass ausschließlich fünf Stücke gespielt werden [na ja, insgesamt wohl zwölf, aber diese Fünf wesentlich häufiger als die anderen], und zwar nicht nur im Radio und dort auf allen Frequenzen: Kaum bin ich im Supermarkt, ist Lady Gaga immer noch so geboren, ich gehe in den Umkleideraum der Sauna und Pink schreit mich an, im Bahnhof haucht mir Rihanna nicht die Ankunftszeit der Züge zu, sondern will immer noch, dass ich ihren Namen sage. Weiß die nicht selbst, wie sie heißt?
Im Grunde könnte das wie eine Uhr funktionieren. Wir fahren mit Lady Gaga aus der Tiefgarage, hinter der alten Bahnhofsbrücke soll ich Rihannas Namen sagen, und mit der Shokopops-Reklame fahren wir auf das Depot. Falls das der Sinn ist, rufe ich hiermit den Verantwortlichen über den Soundmatsch zu, dass der Blick auf immer dieselbe Uhr auch mal langweilig wird. Da muss es doch irgendwo in den Weiten der Sender noch eine zweite CD geben, die man mal spielen könnte. Irgendwo in Afrika könnte dieser letzte Satz ja vielleicht passen, weil es vielleicht wirklich nur zwei alte ausgeleierte Kassetten gibt, die den Dorfplatz beschallen. Aber wir sind hier im Mutterland der Pop- und Rockmusik: Beatles, Rolling Stones, Queen undsoweiter bis hin zu Oasis, fast alle wichtigen Popmusiker und Bands bis in die jüngste Popgeschichte kommen von dieser Insel. Statt dessen werden drei Sängerinnen von jenseits des Atlantik in Endlosschleife gespielt.

Dass es da keinerlei Gegenwehr seitens der britischen Musikindustrie gibt, kann ich mir nur schwer vorstellen, zumindest kriegt man sie nicht mit.
Das hier ist mir alles schon vor einigen Wochen aufgefallen, aber ich wusste noch nicht so richtig, was ich davon halten soll. Seit Gestern sehe ich allerdings etwas klarer. Gestern nämlich war ich bei den Highland-Games von Gourock, das ist ein kleiner Ort zwischen Glasgow und der Westküste. Das highlandige daran ist, dass man die Berge vom Austragungsplatz ziemlich gut sehen kann. Es gab ein paar mächtig kräftige Kerls, die mehrere schwere Steine durch die Luft warfen, noch schwerere Steine schnell und weit schleppten und am Ende einen ausgewachsenen Baumstamm durch die Luft warfen. Eine Dame aus dem hiesigen Adel eröffnete das Ganze feierlich, das niedere Volk applaudierte und feuerte die starken Männer an, dazu regnete es natürlich, Schottland, wie es im Buch für Vorurteile steht. Am Nachmittag klarte es allerdings auf und ich konnte ein paar Bilder machen, siehe oben.

Jetzt komme ich aber zurück zur Musik. Gestern Nachmittag ist mir mit der erhellenden Sonne klar geworden, warum sich niemand darüber beschwert, dass im Radio alles gleich klingt: Die Schotten sind nix anderes gewohnt. Den ganzen Tag über dudelten ganze Gruppen von Säcken über die Austragungswiese. Laut, nasal, ohne Pause, ohne Unterschied. Neben den eigentlichen Spielen war dies auch eine Gelegenheit für die Dudelsack-Kapellen der näheren Umgebung, das Gelernte einem Publikum vorzustellen. Nähere Umgebung bedeutet, dass nur rund einhundert Kapellen dort waren. Dudelsack scheint ein relativ leicht zu erlernendes Instrument zu sein, denn augenscheinlich kann das hier jeder; bei der Menge der dudelnden Säcke drängte sich der Eindruck auf.

Der Tag war jedenfalls erfüllt von näselnden Noten, und zwar der g a n z e Tag. Aber das interessante ist, bei mir ist nicht eine einzige Note hängen geblieben, das klang alles gleich, ein einziger luftiger Brei aus gedrückten Ziegenbälgen. Man mag mich einen Ignoranten schellten, aber ich habe den Eindruck, dass sich die Radioproduzenten hier oben denken: Was soll’s, kriegt doch eh keiner mit, die da draußen sind per Tradition nix anderes gewohnt als immer den gleichen kram. Die sind so geboren.
Sagt meinen Namen…

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